"Mein Tag mit Fenerbahce Istanbul"

28.03.2008 20:45
avatar  saksu
#1
avatar

Von der Lust ein Türke zu sein
" Ich bin Türke. Und mir reichts!" « » „ Türkei und USA. Eskaliert der Armenierstreit?“

"Mein Tag mit Fenerbahce Istanbul"
Mario Diel | 15. November 2007 18:15 Uhr

Ich war krank. Hatte eine Grippe. Deshalb habt Ihr länger nichts von mir gehört. Aber ich konnte sehen, dass es sich einige ja recht gemütlich in den Kommentatoren Sesseln gemacht hatten:-)





Wie kam es dazu, dass sich die Grippe mit mir ins Bett legte? Nun ich traf die Viren am vorletzten Samstag. Meine Freunde hatten mich dazu eingeladen gemeinsam mit ihnen einen „Fenerbahce Tag“ zu verbringen. Denn an diesem Tag fand das Fußball Derby zwischen Fenerbahce Istanbul und Besiktas Istanbul statt.




In den letzten Jahren wurde die türkische Fußballmeisterschaft unter den „Big three“, also „Fenerbahce Istanbul“, „Galatasary“ und „Besiktas Istanbul“ ausgemacht. Diese drei Vereine haben die meisten Fans, das größte Budget, die uneingeschränkte Medienaufmerksamkeit und sonstige Superlativen.





Galatasary wird zur Zeit von Karl-Heinz Feldkamp trainiert und steht ganz oben in der Liga, Besiktas folgt knapp dahinter und Fenerbahce, der ehemalige Verein von Christoph Daum und heute von „Zico“ trainiert, hat einen schlechten Saison Start hingelegt, obwohl man der letztjährige Meister ist und sicherlich über das beste Spielermaterial verfügt. Über die Qualitäten eines „Roberto Carlos“, werde ich noch an späterer Stelle berichten.





Wissen sollte man vielleicht auch, dass Fenerbahce der Verein der erfolgreichsten Unternehmer und Politiker ist. Selbst der türkische Ministerpräsident Erdogan ist Mitglied des Vereins.





Obwohl das Spiel erst um 19:00 Uhr am Abend starten sollte, trafen wir uns bereits um 11:00 Uhr zu einen ausgiebigen Frühstück in Nisatanasi, da viele meiner Freunde dort wohnen. In der irrigen Annahme, das meine Freunde relativ schick gekleidet sein werden, kam ich zwar in Jeans, aber dennoch in Hemd und Sakko daher und war wohl „overdressed“. (Wie schon gesagt Fußball-Laie).





Denn meine Gruppe von 15 Herren war sämtlichst in Fenerbahce Textilien gekleidet. Aber man schien wohl schon geahnt zu haben, wie ich erscheinen werde, sodass man auch für mich ein entsprechendes Outfit organisiert hatte. Gelb und Blau waren somit die dominierenden Farben an diesem Tag.





Gegen 13:30 Uhr machten wir uns dann auf den Weg auf die asiatische Seite, nach „Kadiköy“, wo das „Sükrü-Saracoglu Fußball Stadion“ von Fenerbahce zu finden ist.





Hatte ich mich schon gewundert, dass wir uns um 11:00 Uhr zum Frühstück treffen, obwohl das Spiel erst um 19:00 Uhr startet, war ich jetzt erst recht überrascht, denn was wollten wir um diese Uhrzeit bereits im Stadion?





Wir fuhren dann zwar am Stadion vorbei, gingen allerdings nicht in selbiges hinein.



Unser Ziel war die „Kalamis Marina“ nur unweit vom Stadion entfernt. Ein wunderschöner Yachthafen den man so auch auf Mallorca finden könnte.





Hier würden wir Speisen und Getränke zu uns nehmen, als Stärkung für das Spiel. So wurde mir gesagt.





So betraten wir dann mit unserer Männergruppe gut gelaunt ein Restaurant mit dem Namen „Develi Kebap“ (http://www.develikebap.com). Von aussen wunderschön, direkt am Hafen gelegen, erwartete ich ein Mittag-, -Nachmittagessen in gediegener Atmosphäre und glaubte mit unseren Fenerbahce Outfits nicht passend angezogen zu sein. Was würden wohl die in feinstem Tuch gehüllten „Skipper“ von uns denken?





Je näher wir dem Restaurant allerdings gekommen waren und die „Geräuschkulisse“ lauter und lauter wurde, hatte ich gewisse Zweifel „Skipper“ anzutreffen. Und so war es dann auch:





Mit Eintritt in das Restaurant sah ich nur noch ein Meer von Gelb und Blau und etwa 200 gröllende Menschen, die anscheinend völlig aus dem „Häuschen“ sind. In diesem Moment erkannte ich das erste Mal die tatsächliche Bedeutung von „aus dem Häuschen sein“. Die 200 -oder vielleicht auch mehr- gröllenden Menschen waren bis auf zwei Ausnahmen nur Männer. Ein Durchschittsalter von 35-40 Jahren und ausnahmslos Unternehmer, Akademiker, Ärzte. Selbst zwei Milliardäre konnte ich später unter den Gästen ausmachen.





Dann wurden wir an unseren Tisch geführt- eine lange Tafel-, auf dem schon viele kulinarische Köstlichkeiten der türkischen Küche standen und nur darauf warteten von uns verspeist zu werden. Der Weg zu unserem Tisch war allerdings nicht einfach, denn alle paar Sekunden gaben links und rechts von mir schreiende Herren Schlachtrufe zum besten, sodass ich fast taub an meinem Platz ankam.





Wer schon mal „Weiberfastnacht“ im Kölner Karneval verbracht und in einer der vollbesetzten Kneipen die dortige Stimmung erlebt hat, dem sei gesagt, dass dies nichts ist, im Vergleich zu dem was ich hier erleben sollte. Nahezu jeder stand auf dem Tisch oder Stuhl, brüllte Fenerbahce Lieder und kam nur kurz zur Ruhe, wenn er Speisen und Raki zu sich nahm. Wobei man sagen kann, dass es fast eine Fress-, und Sauforgie war.





Neben mir saß ein bekannter Zahnarzt, der extra zuhause ein Plakat gemalt hatte und es hinter uns an der Wand des Restaurants platzierte. Es schien wohl sehr lustig zu sein, denn die Herrschaften um uns herum machten Fotos davon.





Bisher kannte ich besagten Zahnarzt als sehr ruhigen Mann, fast schon ein wenig langweilig. Aber wenn ich ihn mir jetzt so betrachtete, wie er auf dem Tisch stehend, in der einen Hand eine Fahne schwenkend und in der anderen Hand mit einem Raki Glas allen zuprostete, und seine Stimme sich zu überschlagen schien, da war ich schon überrascht, was die Begeisterung für den Fußball alles bewirken kann:-)




In den ersten 60 Minuten hatte ich gefühlte 10 Raki getrunken und etwa einen Meter Adana Kebap gegessen. Sich dem vielen Essen und Trinken zu entziehen war nicht möglich. Denn von überall wurden mir volle Gläser gereicht und das Essen in den Mund geführt. Das hört sich jetzt alles total verrückt an. Und genau das war es auch:-)





Von der Stimmung und dem Alkohol mitgerissen, stand ich dann auch wenig später das erste Mal auf dem Tisch und gröhlte mit. Obwohl ich keinen einzigen Text bis zu diesem Zeitpunkt kannte.





Besonders „gefragt“ waren die Gesänge gegen die „Besiktas Fans“, da kochte der Saal, respektive das Restaurant jedesmal über.





Irgendwann kam dann ein „guter“ Freund auf den Gedanken, der versammelten Gemeinde doch mal kund zu tun, dass auch ein Deutscher unter ihnen sei. So hallte dann „Maaaaaaaaaaaario, Maaaaaaaaario….“ nur wenig später aus mindestens 200 Mündern duch den Saal.





Aber sollte dies nicht bereits ausreichende Anerkennung meiner Person gewesen sein, hatte mich nun die Kamera von Fenerbahce TV und deren Moderator entdeckt und kam schnurstracks auf mich zu.





„Klasse, du bist total breit, lustig angezogen, in Schweiß gebadet und jetzt sollst du auch noch ein Interview in Türkisch geben“ dachte ich mir. Nach der Ausstrahlung sollte ich dann besser meinen Namen ändern und eine Gesichtsoperation machenJ





Zu meinem Erstaunen sprachen wir in englisch und zu meinem noch größeren Erstaunen, geschah dies auf meiner Seite mit absoluter Kontrolle meiner Zunge und der gesprochenen Worte.





So gegen 18:00 Uhr hätte ich eigentlich nachhause gehen können. Ich konnte für die nächsten 14 Tage kein Essen mehr sehen und die ein und andere Flasche Raki war wohl geleert worden. Das jetzt aber erst der eigentliche Anlass unserer Feier beginnen sollte, entzog sich meiner Vorstellungskraft. Aber es war dem so.





So verliessen dann recht fröhliche Menschen das Restaurant und wir begaben uns auf den Weg zum Stadion.





Nach wenigen Minuten waren wir dort angekommen und die frische Luft hatte mir gut getan. Das Stadion fasst etwas mehr als 50.000 Zuschauer und mir schien es, dass auch mindestens diese Anzahl an Menschen um mich herum war. Wir hatten unseren Platz im „Marathon Blok“ ganz oben.





Als ich dort ankam realisierte ich folgendes: 1. Ich hatte vergessen, dass ich an Höhenangst leide, sodass ich die ersten zehn Minuten mir die Hand vor Augen halten musste. 2. Rechts neben uns war der Fan Block der Besiktas Anhänger. Und dies schienen ganz freundliche Zeitgenossen zu sein:-)




Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, da flogen auch schon die ersten Plastik Sitze in unsere Richtung. Nette Begrüßung dachte ich mir:-) Kann ja heiter werden: Noch immer etwas betrunken, Höhenangst und die netten Fans neben mir:-)




Obwohl das Spiel erst in fünf Minuten starten sollte hatten die ersten Fans beider Mannschaften schon ihre Hemden heruntergerissen und standen mit nacktem Oberkörper in einem Stadion mit gefühlten Minusgraden. Die „Erregung“ kam aber wohl durch die „netten„ Gesten und Zeichen die man sich so gegenseitig zuwarf:-)





Wenn jemand nach Zeichen und Worten verurteilt hätte werde können, wären wohl nicht wenige zu mehrfach „lebenslänglich“ verurteilt worden:-)




Da wurde mir mal wieder bewusst, dass Fußball eine nicht untergeordnete Rolle bei vielen Türken spielt und der eben noch als „Bruder“ (Abi) bezeichnete Nachbar zum größten Feind verkommen kann, nur weil er Fan eines anderen Teams ist.





Gespielt wurde übrigens auch. Sogar sehr gut und es war spannend. Fenerbahce gewann am Ende 2:1. Beeindruckt hat mich allerdings Roberto Carlos. Was dieser „ältere“ Herr mit dem Ball immer noch veranstaltet, lässt einen mit der Zunge schnalzen. Und er ist immer noch schnell wie „Speedy Gonzales“ und fit wie ein Turnschuh.





Da fällt mir übrigens ein: Es gibt einen großen Unterschied zwischen deutschen und türkischen Fans. Während der deutsche Fan nach gelungenen Einzelaktionen zum Beispiel „Poldi, Poldi oder Schweini, Schweini ruft“ hört man hier nie „Roberto, Roberto“, sondern nur Gesänge auf den Verein bezogen.





Nun ja vielleicht gibt es noch viel mehr an Unterschieden, aber ich sagte es bereits: Ich bin Fußball-Laie. Und werde es wohl auch bleiben. Trotz dieser ausführlichen Einführung:-)




Nach dem Spiel waren wir alle wieder nüchtern, aber auch durchgefroren. Dennoch endete dieser Tag aber erst am nächsten frühen morgen und Besuchen in diversen Clubs, sowie dem "Auffrischen" des nachmittaglichen Alkohol Pegels.





Wer spätestens jetzt meint, so viel Alkohol zu trinken sei nicht gut, dem kann ich nur beipflichten. Die Quittung aus zuviel Alkohol, einer ungenügenden Kleidung und einem kalten Stadion bekam ich bereits am folgenden Tag. In Form einer starken Grippe. So blieb mir dieser „Fenerbahce Tag“ noch für viele weitere Tage in bester Erinnerung:-)




Beste Grüße an alle Fußballfans und die es noch werden...


Mario diel kendi blogu stern.de



 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!